Determinismus und Willensfreiheit

Eine Frage ist für unser Naturbild, unser Gottesbild, unser Menschenbild – kurz unser Weltbild – von fundamentaler Bedeutung: Ist die Zukunft vorherbestimmt? Vorherbestimmt bedeutet noch lange nicht, dass die Zukunft auch vorhersagbar ist. Aber es bedeutet, dass die Geschichte unabänderlich wäre.

Während der Determinismus in Bezug auf die unbelebte Natur selten in Frage gestellt wird, gibt es doch einen erbitterten Streit über den Determinismus in Bezug auf die belebte Natur, insbesondere in Bezug auf uns, den Menschen. Die Willensfreiheit des Menschen würde bedeuten, dass die Zukunft eben nicht vorherbestimmt ist, sondern erst durch unseren Willen gestaltet wird. Daher ist die Frage nach dem freien Willen die eigentliche Frage nach dem Determinismus.

I. Die herausragende Bedeutung der Frage nach dem freien Willen

Die Frage, ob der Mensch einen freien Willen hat, ist wohl nicht nur eine der spannendsten philosophischen Fragen, sondern auch eine der bedeutendsten. Nicht zuletzt geht es um die Begründung von Verantwortung und Schuld, um die Begründung von Strafbarkeit, aber auch um die Frage der Richtigkeit zentraler religiöser Lehren des Christentums sowie beispielsweise um die Unmöglichkeit der Allmacht Gottes in einer determinierten Welt. Durch die Fortschritte in der Naturwissenschaft ergeben sich heute ganz neue Lösungsansätze bei der Beantwortung eben dieser philosophischen Grundfrage nach der Willensfreiheit.

II. Was ist Willensfreiheit?

Willensfreiheit bezeichnet die Abwesenheit von Begrenzungen, Zwängen und Bindungen für das Wollen. Noch präziser meint Willensfreiheit die Fähigkeit, seinem eigenen Wollen eine Richtung geben zu können, ohne dass dabei Begrenzungen, Zwängen und Bindungen wirken. Der Wille (oder das Wollen) ist dabei das das Verhalten leitende Streben. Wenn wir etwas wollen, so haben wir die entsprechende Absicht (das Bestreben) oder den entsprechenden Wunsch (das Begehren). Grund oder Ursache für dieses Streben sind im Begriff des Willens dementsprechend nicht angelegt, während bei der Willensfreiheit das Ich dem Wollen die Richtung geben kann, also Grund oder Ursache für das Streben, also für Absichten und Wünsche, setzen kann und bei dieser Richtungsgebung frei ist.

III. Ausgangsfragen

Somit gilt es drei Fragen zu beantworten: Was ist das Ich? Wie kann dieses Ich Grund oder Ursache für das Streben sein? Und wie kann dieses Ich dabei keinen Begrenzungen, Zwängen und Bindungen unterliegen?
Neben der Beantwortung dieser Fragen, besteht das Phänomen, dass wir meinen, einen freien Willen zu haben, nämlich dann wenn wir uns bewusst für oder gegen etwas entscheiden und dabei das Gefühl haben, diese Entscheidung kommt aus uns heraus und wurde uns nicht vorgegeben, da wir meinen, auch anders hätten handeln zu können.

IV. Das Ich

1. Was und wo ist das Ich?

Das Ich ist Träger des Bewusstseins. Ist der Mensch zumindest auch materielles Wesen, so darf für das materielle Sein grundsätzlich angenommen werden, dass dieses materielle Sein wie die übrige belebte und unbelebte Natur den Naturgesetzen unterliegt. Jedenfalls muss konstatiert werden, dass alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dies bestätigen, andererseits keine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, die zu Zweifeln Anlass geben könnten.

Entweder muss nun das Ich in diesem materiellen Sein verortet werden oder das Ich muss zumindest Möglichkeit haben auf dieses materielle Sein derart Einfluss zu nehmen, dass es das materielle Sein zumindest hinsichtlich der Willensrichtung steuern kann. Um es klar auszusprechen, wäre das Ich im letztgenannten Fall immateriell.

Sicherlich wird die Naturwissenschaft keine direkten Aussagen über Immaterielles treffen können. Verfehlt wäre es aber, daraus zu folgern, dass die Naturwissenschaft im letztgenannten Fall keine Aussagen treffen könnte. Vielmehr würde es genügen, wenn sich naturwissenschaftlich feststellen ließe, dass ein immaterielles Ich keinen Einfluss auf das materielle Sein des Menschen haben kann. Dann wäre nämlich die Existenz eines immateriellen Ichs für unser materielles Sein bedeutungslos. Dieser Gedanke kann insoweit erweitert werden, als dass jeglicher Dualismus von Stoff und Geist oder Leib und Seele dann für die jeweils materielle Ebene bedeutungslos wäre, wenn die Kopplung zwischen ihnen fehlte. Kann der Geist nicht auf den Stoff wirken, die Seele nicht auf den Leib, dann kann das materielle Sein unabhängig vom immateriellen Sein betrachtet werden und Fragen für das materielle Sein können und müssen ohne immaterielle Erklärungselemente auskommen.

In der Diskussion darf jedoch nicht vergessen werden, dass Dualismus gerade in der abendländischen Kulturentwicklung von herausragender und prägender Bedeutung war und ist. Diese Bedeutung für das abendländische Denken erklärt die Bestrebungen diesen Dualismus zu bewahren, gegen Zweifel, gar Negierung zu verteidigen.

2. Wie aber kann das Ich frei sein?

Wie aber kann das Ich frei sein? Absolute Freiheit, also die Abwesenheit jeder Beschränkung, führt zu Willenszufall (es könnte trotz sprachlicher Ungenauigkeit des Begriffs, aber angesichts seiner Konnotation auch von Willkür gesprochen werden). Zufällige Entscheidungen bezeichnen aber auch die Befürworter der Willensfreiheit nicht als willensfrei. Entsprechend kann Willensfreiheit nur eine relative Freiheit meinen. Relative Freiheit bedeutet, dass dem Willen zwar eine Richtung gegeben werden kann, jedoch nur innerhalb gewisser Grenzen. Jedoch ist auch eine relative Freiheit nur scheinbar weniger problematisch. Schon in einem einfachen Fall fragt sich nämlich, was der freie Wille eigentlich sein soll; beispielsweise bei der Entscheidung, einen Ball in eine Fensterscheibe zu werfen oder eben diese Sachbeschädigung zu unterlassen. Das Ich kann hier Argumente für und wider der Sachbeschädigung denken. Fraglich ist nur, zugunsten welcher Alternative das Ich entscheidet. Freier Wille meint ja, hier sowohl für, als auch wider wählen zu können, also nicht schon im Voraus die Entscheidung festgelegt ist. Stützt das Ich hier seine Entscheidung auf Gründe und wählt es immer diejenige Alternative für die die überzeugendsten Gründe sprechen, ist nicht ersichtlich, worin die Freiheit bestehen soll. Vielmehr ist die Entscheidung durch die Gründe determiniert. Etwas allgemeiner formuliert, führt jeder Mechanismus zu einem Determinismus, der Handlungen aus irgendeiner Art vergangener Erfahrungen und Erinnerungen kreiert oder der Entscheidungen aus Angewohnheiten oder Einstellungen oder geerbten Neigungen formt. Wählt das Ich jedoch im Beispielfall ohne irgendeinen vergangenen Einfluss, also ohne Grund, die andere Alternative, wäre diese Wahl zwar frei, aber wiederum zufällig. Die Willensfreiheit wird zwar allgemein als eine Art psychisch-kausaler Prozess verstanden, wird aber bei dieser genauen Betrachtung, wie der Prozess eigentlich aussehen soll und worin die Freiheit eigentlich bestehen soll, immer mysteriöser und unverständlicher.

V. Der Mensch lässt sich vollständig materiell erklären

Trotz der Problematik, statt der gewünschten Willensfreiheit schon theoretisch eine Willkür oder besser Willenszufall zu erhalten, lohnt es, sich der Frage nach Willensfreiheit auch von den Naturwissenschaften kommend zu nähern.

Das exponentielle Anwachsen des verfügbaren Wissens gerade im letzten Jahrhundert ermöglicht es, den Menschen aus seinem materiellen Sein heraus vollständig zu erklären, auch wenn uns Funktionsweisen des menschlichen Organismus nicht bis ins Detail verständlich sind. So können wir das Bewusstsein des Menschen im Gehirn verorten und wissen, dass im Gehirn chemisch-physikalische Prozesse ablaufen, die den gleichen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, wie sie in der übrigen Natur auch bestehen. Und wo Naturgesetze über das Geschehen regieren, ist es schwer vorstellbar das zu finden, was es bedarf, um von einer freien Willenslenkung sprechen zu können. Denn Naturgesetze determinieren für ein bestimmtes Ereignis ein bestimmtes Ergebnis.

1. Gott würfelt nicht – Implikation der Quantenmechanik

An dieser Stelle setzt ein wesentliches Argument der Befürworter des freien Willens an, indem nämlich auf die Quantenmechanik verwiesen wird. In der Quantenphysik lassen sich nämlich für mikroskopische physikalische Objekte nur noch Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Ergebnis anstellen; es herrscht eine Art Quantenzufall. Dieses Ergebnis wird seit Entdeckung dieses Quantenzufalls als Beweis für einen Indeterminismus in der Physik interpretiert. Daraufhin prägte Einstein den berühmten Satz: „Gott würfelt nicht.“ In eindrucksvoller Kürze drückt Einstein mit diesem Bild seine großen Zweifel an der Indeterminismusinterpretation aus. Dieses Bild funktioniert übrigens nur aus der Perspektive eines normalen Spielers. Für diesen kommt das Würfelergebnis durch Zufall zustande. Tatsächlich wird das Ergebnis aber durch die Naturgesetze determiniert. Das heißt, unter exakt gleichen Ausgangsbedingungen zeigt der Würfel immer die Gleiche Augenzahl an. Wir bezeichnen das Ergebnis nur als Zufall, da wir den komplexen Prozess nicht erfassen und verstehen. Der Zufall beim Würfelspiel bedeutet somit nicht, dass ein Indeterminismus für das Ergebnis verantwortlich ist. So könnte Gott – genau genommen – auch würfeln, da jeder Wurf nur ein bestimmtes Ergebnis haben kann, dass Gott in Kenntnis seiner Naturgesetze exakt vorhersehen kann.

Und ähnlich dem Würfelspiel ist es mit letztendlich jedem Zufall in unserem Leben. Die Bedingungen und Prozesse, die zu einem so genannten „zufälligen Ereignis“ führen, sind uns nicht bekannt und können uns aufgrund unserer körperlichen Beschränktheit auch gar nicht alle bekannt sein. So zum Beispiel, wenn wir einen guten Schulfreund tausende Kilometer von unserer ehemaligen Schule „zufällig“ auf der Straße treffen, oder aber auch, wenn ein Zug entgleist. All das sind Ereignisse, die unwahrscheinlich, nicht berechenbar, nicht verständlich und somit überraschend sind. Aber deterministische Naturgesetze wurden nicht durchbrochen.

Die vorangegangene Darstellung kann mit der Feststellung zusammengefasst werden, dass der Mensch dazu neigt Vorherbestimmtheit mit Vorhersagbarkeit durch Menschen gleichzusetzen. Ist ein Ergebnis nicht für den Menschen vorhersagbar, so wird hierin ein Indeterminismus gesehen. Die Frage, ob die Natur determiniert oder indeterminiert ist, entscheidet sich aber nicht in irgendeiner Form nach dem menschlichen Vermögen oder der Fähigkeit bestimmte Vorhersagen zu treffen, sondern richtet sich allein nach der objektiven Beschaffenheit der Natur.

Der Fehler der Gleichsetzung von Vorherbestimmtheit mit Vorhersagbarkeit durch Menschen wird auch bei der Interpretation des Quantenzufalls gemacht. Auch hier gilt, dass die Vorhersagbarkeit durch Menschen nicht notwendig für das Vorliegen eines Determinismus ist. Sicher ist nur, dass der Quantenzufall dem menschlichen Wissen über die Zukunft eine natürliche Grenze setzt, ebenso wie uns die Vergangenheit vor dem Urknall verschlossen bleibt.

2. Der deterministische Quantenzufall

Während die Indeterminismusinterpretation also keinesfalls zwingend ist, sprechen vielmehr mehrere Indizien dafür, dass beim Quantenzufall deterministische Prozesse stattfinden, wir diese Prozesse nur als Menschen bzw. als Teil der Natur nicht einsehen, nicht verstehen und nicht berechnen können. Zwar können weder Quantenindeterminismus, noch Quantendeterminismus bewiesen werden, wohl doch können Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden.
Zunächst wäre anzuführen, dass die physikalische Welt – abgesehen eben vom Quantenzufall – deterministischen Naturgesetzen unterliegt. Eine Ausnahme von dieser Regel anzunehmen, ist zumindest nicht nahe liegend. Der Determinismus in der Mikrowelt wäre aus dem Determinismus in der Makrowelt deduzierbar.

Ein weiteres Indiz ist die Tatsache, dass der Ausgang des Quantenzufalls mathematisch durch Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet werden kann, also durch Anwendung von Gesetzen der in sich rein determinierten Mathematik. So ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung, bei der nicht jedes Ergebnis gleichwahrscheinlich ist. Wahrer Zufall würde aber nicht zu einer unterschiedlich verteilten Wahrscheinlichkeit führen. Vielmehr müsste jedes Ereignis gleichwahrscheinlich sein. Einzig ein relativer, also teildeterminierter Zufall, bei dem zwar eine Ursache eine bestimmte Richtung setzt, das Ergebnis jedoch innerhalb dieser Richtung zufällig ist, kann mit einem Muster in der Wahrscheinlichkeitsverteildung vereinbart werden. Das Muster der Wahrscheinlichkeitsverteilung in der Quantenmechanik spricht jedoch vielmehr für eine Gesetzmäßigkeit und damit für einen deterministischen Mechanismus, der eben für dieses Wahrscheinlichkeitsmuster verantwortlich ist.

Ein weiteres Argument ergibt sich aus der heisenbergschen Unschärferelation, nach der es Paare von beobachtbaren physikalischen Größen (z. B. Ort und Impuls eines Teilchens) gibt, die man nicht gleichzeitig mit beliebig großer Genauigkeit messen kann. Dieses Unbestimmtheitsprinzip ist eine Eigenschaft der Natur, die uns, als beobachtendem Teil der Natur, einen umfassenden Einblick in die Natur verwehrt. Dass uns bei der Bestimmung von Ort und Impuls eine natürliche Grenze gesetzt ist, heißt jedoch nicht, dass das beobachtete Teilchen nicht gleichzeitig einen bestimmten Ort, als auch einen bestimmten Impuls hat; was wohl zu recht auch keiner abstreiten würde. Auch hier wird eine exakte Berechenbarkeit unmöglich gemacht, ohne dass ein Indeterminismus in Betracht kommt.

Somit kann der Quantenzufall als weiterer Fall der menschlichen Begrenztheit bei der Vorhersagbarkeit der Zukunft angesehen und ein Indeterminismus in der Physik mit guten Argumenten in Frage gestellt werden. Ein Quantendeterminismus ist wahrscheinlicher.

3. Das Gegenteil ist Zufall, nicht Willensfreiheit

Während schon die Indeterminismusinterpretation fragwürdig ist, stellt sich die Ableitung des freien Willens aus dem Quantenzufall als geradezu absurd dar. Denn ohne weiteres wird aus einem Quantenzufall kein willensgesteuerter Prozess. Dafür müsste das das Wollen lenkende Ich den Quantenzufall steuern können, mithin in der Lage sein, eines der wahrscheinlichen Ergebnisse entsprechend dem Willen zu wählen. Dabei muss aber zugleich das Kunststück gelingen, den freien Willen in das Korsett der mathematischen Wahrscheinlichkeitsverteilung beim Quantenzufall zu zwängen. Denn diese Wahrscheinlichkeitsverteilung ist nämlich – sozusagen deterministisch – bei gleichen Ausgangsbedingungen immer gleich, kann also durch die Betätigung des Willens nicht verändert werden.

Als naturwissenschaftliches Argument für die Existenz des freien Willens, als das er all zu häufig herangezogen wird, ist der Quantenzufall jedenfalls angesichts dieser Punkte keinesfalls tauglich. Vielmehr läge der Quantenzufall auch unter der Annahme eines herrschenden Indeterminismus nahe, dass nicht das Ich den Willen lenkt, sondern der Zufall. Auch im Indeterminismusfalle spräche somit der Quantenzufall für eine Verneinung der Willensfreiheit. Anders formuliert, sind Willensfreiheit und Determination keine Gegensätze, wohl aber einander ausschließend. So meint mit Blick auf die Verantwortungsfrage auch der britische Philosoph Professor Ted Honderich, dass es nicht sein könne, dass jemand „für ein Zufallsereignis und seine Begleitumstände […] in höherem Maße verantwortlich ist, als für ein notwendig herbeigeführtes Ereignis und dessen Begleitumstände“ (Honderich, Ted, How Free Are You?, The Determinism Problem, 2002.). Vielmehr liegt in einem solchen Fall das Gegenteil nahe, dass nämlich dieser jemand aufgrund des Zufalls weniger verantwortlich ist.

4. Die Bedeutungslosigkeit des Quantenzufalls für unsere Entscheidungen

Neben all diesen Ausführungen zur Quantenmechanik darf nicht übersehen werden, dass es sich im Übrigen bei den Prozessen im menschlichen Gehirn um solche handelt, bei denen die Aussagen der Quantenmechanik vernachlässigt werden können, da der quantenmechanische Einfluss auf die Prozesse im menschlichen Gehirn marginal ist. Die Makrowelt der Physik und selbst die für uns schon so mikroskopische Physik unserer Gehirne lassen sich mit rein deterministischen Naturgesetzen beschreiben. Bei der Quantenmechanik geht es nämlich um einzelne Teilchen, nicht um komplexe Moleküle wie in unserem Gehirn. Vereinfacht ausgedrückt: Die relevanten Bausteine unserer Gehirnprozesse sind zu groß für den Quantenzufall. Dass die Prozesse in unserem Gehirn unter Zuhilfenahme des quantenmechanischen Zufalls gesteuert werden könnten, ist damit mehr als fern liegend. Mit anderen Worten: Selbst wenn der mysteriöse Einfluss des freien Ichs auf den Quantenzufall bestände, so könnten wir eben diesen Einfluss bei den Gehirnprozessen vernachlässigen, die zu unseren Entscheidungen führen. Zumindest unsere Entscheidungen sind damit determiniert, weshalb auch von einem zumindest relativen Determinismus gesprochen werden kann.

5. Der Energieerhaltungssatz

Das alles entscheidende Argument ergibt sich aber aus dem wohl bedeutendsten und hinreichend bewiesenen Erhaltungssatz der Physik, dem Energieerhaltungssatz. Nach diesem Naturgesetz wird bei einem physikalischen Vorgang weder Energie erzeugt noch vernichtet, sondern kann dabei lediglich von einer Energieform in eine oder in mehrere andere Energieformen umgewandelt werden. Betrachten wir einen Menschen zu einem Zeitpunkt als abgeschlossenes physikalisches System, so hat er eine bestimmte Gesamtenergie. Angenommen, das (immaterielle) Ich hätte Einfluss auf den Quantenzufall, so müsste für die Beeinflussung des physikalischen Systems diesem Energie zugeführt werden, denn nur so verändert sich ein solches System. Diese Energie kann nicht aus dem System selbst stammen, da bei unveränderter Gesamtenergie das System seinen ursprünglichen Zustand behalten würde. Die Energie dürfte selbst, wenn man beim Menschen seine Umwelt mit einbezieht, nicht von dieser Umwelt stammen, da solche Umwelteinflüsse den Menschen zwar determinieren, aber eben nicht frei machen. Die Energie kann also nur vom (immateriellen) Ich stammen. Egal ob im Ausgangsfall, wo der Mensch als abgeschlossenes physikalisches System betrachtet wird, oder im zweiten Fall, wo die Umwelt in das abgeschlossene System einbezogen wird: Die für die Zustandsveränderung erforderliche Energie dürfte zuvor nicht vorhanden gewesen sein. Dann handelte es sich allerdings um neu erzeugte Energie. Der Energieerhaltungssatz wäre verletzt. Eine Verletzung des Energieerhaltungssatzes ist jedoch nachweislich nicht möglich. Somit ist eine Beeinflussung des Quantenzufalls nicht möglich. Im Ergebnis können sich die Vertreter der Willensfreiheit eben auch nicht auf den Quantenzufall berufen; nebenbei bemerkt, ihren letzten Zufluchtsort in der Naturwissenschaft. Der Energieerhaltungssatz beweist sogar, dass die Kopplung von materiellem und immateriellem Sein ausgeschlossen ist, wodurch der Dualismus bedeutungslos wird.

VI. Erkenntnisse der Hirnforschung – „Ich könnte anders, wenn ich wollte.“

Während der Determinismusstreit schon ohne Detailwissen über die genaue Funktionsweise unserer Gehirne mit sehr guten Argumenten zugunsten des Determinismus entschieden werden kann, bleibt das beschriebene Gefühl des freien Willens. Ausdruck dieses Gefühls ist der Satz: „Ich könnte auch anders, wenn ich wollte.“ Dieses Gefühl der Willensfreiheit, das sicherlich ein jeder kennt, ist in einer deterministischen Welt nichts mehr als eine Illusion. Dennoch ist diese Illusion Teil des menschlichen Seins. Warum also haben und/oder brauchen wir dieses Gefühl? Bei der Erforschung dieses Gefühls, wird durch die Neurobiologie nicht nur der Determinismus bestätigt, sondern kann auch die Bedeutung der Illusion des freien Willens immer klarer erfasst werden. In Deutschland muss in diesem Zusammenhang an erster Stelle Professor Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Institut für Hirnforschung, angeführt werden, der zu diesem Thema zahlreiche Veröffentlichungen publiziert hat.
Auch der Psychologe Professor Daniel M. Wegner der Universität Harvard beschäftigt sich interdisziplinär mit diesem Phänomen – insbesondere in seinem Werk „The Illusion of Conscious Will“ (2002). Wegner zeigt, dass uns dieses Gefühl bewussten Willens, wie er es nennt, (also das Gefühl willensfrei zu sein) zu verstehen hilft, unsere Urheberschaft bei Dingen zu erkennen und zu erinnern, die unser Geist und unser Körper tun. Es handelt sich also nicht um einen Prozess (wie der Determinismus), sondern um ein Gefühl.

„Genau wie uns Lachen daran erinnert, dass unser Körper Spaß hat, oder das Zittern uns warnt, dass unser Körper Angst hat, erinnert uns die Erfahrung des Willens daran, dass wir etwas tun. Wille macht somit eine Handlung weitaus intensiver zu unserer eigenen Handlung, als dies ein Gedanke allein könnte. Anders als einfach zu sagen ‚Diese Handlung ist meine’, markiert das Auftreten bewussten Willens eine Handlung deutlich, assoziiert die Handlung durch Gefühl mit dem Selbst und macht auf eine persönliche und einprägsame Art und Weise die Handlung zu unser eigenen. Wille ist eine Art Emotion der Urheberschaft.“ (Wegner, Daniel M., The Illusion of Conscious Will, 2002, S. 325) Daher handelt es sich bei der Willensfreiheit um eine sehr nützliche Illusion, was sie auch evolutionsbiologisch erklärt. Auch wenn bewusster Wille eine Illusion ist, so Wegner, dient er als ein Anhaltspunkt dafür, uns selbst zu verstehen und ein Gefühl von Verantwortung und Moral zu entwickeln.„Die Erfahrung des Willens [jedoch] kommt davon, dass unsere Handlungen unseren Wünschen folgen, nicht davon, in der Lage zu sein, Dinge zu tun, die aus nichts folgen. Und natürlich verursachen wir nicht unsere Wünsche. Die Dinge, die wir tun wollen, kommen in unsere Köpfe.“ (Wegner, S. 324.)

VII. Verantwortung im Determinismus

Determinismus bedeutet in seiner Konsequenz, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unabänderlich niedergeschrieben stehen und der Mensch in der Geschichte zwar handelt, aber nicht als freier Gestalter der Geschichte, sondern vielmehr als Marionette im Welttheater. So gesehen hat der handelnde Mensch keine Wahl bei seinen Entscheidungen. Was aber ist bei dieser Betrachtung mit der Verantwortung? Wie kann jemand für ein Handeln oder Unterlassen verantwortlich sein, wenn er bei der Entscheidung zwischen Für und Wider keine Wahl hatte, weil sie durch die Vergangenheit determiniert worden ist? Oder bildlicher ausgedrückt: Kann eine Marionette für ihre Handlungen verantwortlich sein?

1. Was ist Verantwortung?

Unsere gesamte Gesellschaftsordnung – und insbesondere das Recht – baut auf Verantwortung auf. So knüpfen Sanktionen an die Verantwortung einer Person für die sanktionierte Folge an. Was genau aber ist Verantwortung? Verantwortung ist die wertende Zuweisung einer Berechtigung und Pflicht zu einer Person, dafür zu sorgen, dass eine bestimmte Folge eintritt oder ausbleibt, sowie die Pflicht für Eintritt oder Ausbleiben einer bestimmten negativen Folge einzustehen respektive die Berechtigung für eine positive Folge die Anerkennung zu erhalten. Verantwortung bezieht sich dabei auf einen Verantwortungsbereich. Damit ist der Handlungsraum gemeint, welchen eine Person aus wertender Sicht kontrollieren kann und muss. Es kommt dabei nicht darauf an, ob eine Person in einer konkreten Handlungssituation subjektiv dazu in der Lage war, eine bestimmte Handlung auszuführen. Gleichzeitig erfolgt durch den Verantwortungsbereich auch eine Negativabgrenzung, indem Verantwortung für Ereignisse außerhalb des Verantwortungsbereichs wertend ausgeschlossen wird. Im Zweifel ergibt sich der Umfang des Verantwortungsbereichs aus den objektiven Umständen.
Das Einstehen für eine bestimmte Folge bedeutet in Bezug auf die Verantwortungsdefinition beispielsweise, den Verlust gesellschaftlichen Ansehens zu erleiden, Schadensersatz zu leisten oder eine Strafe zu zahlen bzw. zu verbüßen. Die Anerkennung kann beispielsweise im gesellschaftlichen Ansehen, hierarchischen Aufstieg oder in finanziellen Zuwendungen bestehen. Häufig wird es aber als selbstverständlich angesehen, der Verantwortung nachzukommen, weshalb nur im Falle des Eintritts einer negativen Folge Konsequenzen eintreten. So zum Beispiel im Strafrecht, wo nur bei Vorliegen eines Straftatbestandes die Sanktionierung erfolgt, für das Nichtstraffälligwerden jedoch keine Anerkennung erfolgt.
Verantwortung ist als wertende Zuweisung nicht naturgegeben, sondern erfordert die Zuweisung durch den Menschen selbst. Während die Zuweisung von Verantwortung grundsätzlich eine individuelle Wertung darstellt, ist die rechtliche Verantwortung das Ergebnis der Zuweisung durch den Gesetzgeber, der seine Wertung durch Rechtssetzung allgemeinverbindlich macht. Fehlt es an einer klaren gesetzgeberischen Zuweisung, so obliegt es den Gerichten rechtliche Verantwortung im Einzelfall zu bestimmen oder Grundsätze für rechtliche Verantwortung im Allgemeinen aufzustellen.

2. Die rechtliche Verantwortung

Die gesetzgeberische Wertung knüpft beispielsweise Verantwortung im Zivilrecht häufig an Kausalität und das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt an. Unabhängig vom Willen des objektiv ursächlich Handelnden kommt es somit zur Zuweisung von zivilrechtlicher Verantwortung mit der Folge, dass beispielsweise der Handelnde Schadensersatz zu leisten hat. Die Hürde der strafrechtlichen Verantwortung für ein bestimmtes Ereignis ist aufgrund der einschneidenden Folgen einer Verurteilung zumeist deutlich höher. So geht es im Strafrecht wenn nicht sogar um die Freiheit der Person, so doch zumindest um das gesellschaftliche Ansehen, dessen Beeinträchtigung weit reichende Folgen haben kann (beginnend beispielsweise beim Verlust der Kreditwürdigkeit).

Daher ist im Strafrecht in der Regel der Wille der Straftatbestandsverwirklichung erforderlich, mithin ein besonderer Geisteszustand. In Deutschland muss das Wissen der objektiven Tatumstände bei Begehung der Tat hinzukommen. Im Strafrecht wird hier von Vorsatz gesprochen. Dabei werden in Deutschland gewohnheitsrechtlich drei Vorsatzformen unterscheiden: die Absicht (Taterfolg ist das Ziel), direkter Vorsatz (sicheres Wissen um Taterfolg) sowie Eventualvorsatz (billigende Inkaufnahme des Taterfolgs). Die Zuweisung von Verantwortung wird darüber hinaus noch weiter durch die zusätzliche Prüfung der Schuld modifiziert. So wird selbst bei vorhandenem Willen der Tatbestandsverwirklichung im Einzelfall geprüft, ob die Zuweisung von Verantwortung tatsächlich den Sinn und Zweck von Strafnorm oder Strafrecht erfüllt. Liegt ein Rechtfertigungsgrund (wie Einwilligung) oder ein Entschuldigungsgrund (so bei fehlender Zumutbarkeit der Normbefolgung) vor, entfällt die strafrechtliche Verantwortung.

Eine solche Anknüpfung an den Willen sowie die zusätzlichen Prüfungsschritte reichen aus, um den notwenigen höheren Maßstab der Verantwortung im Strafrecht zu erzielen. Mit Blick auf die Begründung der Voraussetzungen für die strafrechtliche Verantwortung ist somit nicht ersichtlich, dass der Wille frei oder bewusst sein müsste. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz. Es verbleibt die Prüfung, ob freier Wille unter Umständen angesichts von Sinn und Zweck des Strafrechts erforderliche Voraussetzung sein muss.

3. Sinn und Zweck des Strafrechts

Strafrecht hat das Ziel gegen künftige Delikte vorzubeugen. „Man unterscheidet zwischen der Generalprävention als der Einwirkung auf die Allgemeinheit und der Spezialprävention als der Einwirkung auf den individuellen Täter. Die Abschreckung der Allgemeinheit durch die Bestrafung des Delinquenten bezeichnet man als negative Generalprävention. Die Stärkung des Vertrauens in die Durchsetzungskraft der Rechtsordnung, die durch die Strafjustiz in der Allgemeinheit bewirkt wird, nennt man positive Generalprävention. Demgegenüber kann die Spezialprävention in dreifacher Weise erfolgen: indem man die Allgemeinheit vor dem Straftäter durch dessen Einsperrung sichert [Schutz der Allgemeinheit], indem man den Täter durch die Strafe von der Begehung weiterer Straftaten abschreckt [Abschreckung] und indem man ihn durch Resozialisierung vor der Rückfälligkeit bewahrt. […] Nach der Rechtsprechung soll die Strafe alle genannten Ziele nebeneinander verfolgen. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen ausschließlich der Spezialprävention.“ (Brockhaus Enzyklopädie 2002.)

Besondere Bedeutung kommt der Strafe als negativem Anreiz zu, der den in der Tatbegehung gesehenen Vorteil ausgleichen soll. Strafrecht dient aber nicht nur der Prävention, sondern auch der Herstellung von Gerechtigkeit. Das durch die Straftat gestörte Gerechtigkeitsgefühl wird durch eine der Tat angemessene Bestrafung und Entziehung des erlangten Vorteils wiederhergestellt. Es kommt zu etwas, was man als Vergeltung bezeichnen kann. In der Gesamtschau dieser Gründe machen somit auch Sinn und Zweck des Strafrechts nicht das Vorliegen eines freien Willens auf Tatbestandsseite erforderlich. Auch hier gilt dies ebenso für den bewussten Willen.

Somit ist weder im Zivilrecht, noch im Strafrecht die Willensfreiheit für die Zuweisung von rechtlicher Verantwortung erforderlich. Die Anerkennung des Determinismus entzieht somit dem die Gesellschaft ordnenden Rechtssystem nicht das Fundament. Vielmehr ist entgegen der Befürchtung vieler das Rechtssystem unabhängig von der Determinismusfrage.

4. Die wertende Zuweisung und die dauerhafte Natur einer Person

Während bisher allgemein darauf verwiesen wurde, dass Verantwortung auf einer wertenden Zuweisung beruht, lohnt es sich die Zuweisung genauer zu betrachten, um das Bild der Verantwortung im Determinismus klarer zu zeichnen.

Allgemein wollen wir Verantwortung nur der dauerhaften Natur einer Person anhängen. Diese Wertung beeinflusst sowohl die individuell empfundene, als auch die rechtliche Verantwortung. Wird beispielsweise jemand durch Gewalt zur Begehung einer Straftat gezwungen oder durch Hypnose „ferngesteuert“, so greift die wertende Zuweisung ein, und schließt für diese Fälle die strafrechtliche Verantwortung für „das Werkzeug“ aus. Das gleiche gilt für krankhafte Ursachen und teilweise sogar für Taten in Rauschzuständen. Warum empfinden wir so? Vermutlich weil die Zuweisung von Verantwortung in diesen Fällen keinen Nutzen hätte. Entspricht eine Tat nicht der dauerhaften Natur einer Person, kann die Strafe nicht ihren Sinn und Zweck erfüllen. Daher beeinflussen Widersprüche zu den Überzeugungen, Wünschen und anderen Persönlichkeitsmerkmalen der Person unsere Wertung, ob Verantwortung im jeweils vorliegenden Falle vorliegt. Motive haben somit große Bedeutung bei der wertenden Zuweisung von Verantwortung.

Am Beispiel von Handlungen im Rausch wird diese Wertung sehr deutlich. Einerseits kann hier der schuldhaft herbeigeführte Rausch als abstraktes Gefährdungsdelikt bestraft werden (so in § 323a Strafgesetzbuch). Dabei wird nicht die Tat an sich, sondern das Verhalten bestraft, was zur Tat geführt hat. Da hier die Tatbegehung nicht der dauerhaften Natur der Person entspricht, sondern der durch Rauschmittel veränderten Natur, besteht im Rahmen dieser Norm keine strafrechtliche Verantwortung für die Tat, jedoch für das Herbeiführen des Rausches. Anders ist hingegen der Fall gelagert, indem der Täter vor der Herbeiführung des Rausches den Vorsatz hat, im Rauschzustand eine rechtswidrige Tat zu begehen – sei es um die eigene Hemmschwelle zu senken und/oder um die Wertung auszunutzen, dass grundsätzlich keine strafrechtliche Verantwortung im Rauschzustand (sondern nur für diesen) besteht. Denn in diesem Fall liegt die Tatbegehung durchaus in der dauerhaften Natur der Person. Dies sowie der Sinn und Zweck des Strafrechts machen es erforderlich, dass hier die Zuweisung von strafrechtlicher Verantwortung erfolgt. Und die strafrechtliche Verantwortung beruht in diesem Fall eben darauf, dass bereits das Herbeiführen des Rauschzustands Anfang der Ausführung der geplanten Tat ist (sog. Tatbestandslösung).

Hervorzuheben ist jedoch, dass die Verneinung strafrechtlicher Verantwortung nicht jegliche Rechtsfolgen für den Täter ausschließt, sondern es sehr wohl beispielsweise zur Sicherheitsverwahrung kommen kann. Die Freiheitsentziehung erfüllt dann keine Straffunktion, sondern dient dem bloßen Schutz der Allgemeinheit.

Die dauerhafte Natur einer Person heranzuziehen, die es in ihrer Reinform natürlich angesichts des dynamischen Wesens des Menschen nicht gibt und die deshalb durch Wertung zu bestimmen ist, ermöglicht es auf der Wertungsebene mit dem Problem umzugehen, dass der Mensch einzig ein Produkt seiner Gene und Umwelt ist, und somit immer von außen bestimmt ist, wir aber zur Erreichung des Strafzwecks nur bestimmte Außensteuerungen bei der Verantwortung ausklammern wollen. Würden wir bei jeglicher Außensteuerung Verantwortung ausklammern, wäre auf Wertungsebene keine Verantwortung mehr gegeben. Daher behandeln wir langfristige Außeneinflüsse, die eine Person „prägen“, anders als kurzfristige Außeneinflüsse, die eine Person „zum Werkzeug machen“. Während wir Personen für Handlungen verantwortlich machen, welche durch langfristige Außeneinflüsse determiniert sind und die Person diese Handlungen sozusagen „aus sich selbst heraus“ tut, nehmen wir Verantwortung im anderen Falle nicht an.

5. Schuld ist keine Fiktion, sondern Ordnungsprinzip

Im Strafrecht wird gerne von Schuld oder Verantwortung als „gesellschaftsnotwendige Fiktion“ gesprochen. Diese Aussage ist mit Vorsicht zu genießen. Zwar könnte man sagen, dass Verantwortung eine gesellschaftsnotwendige Fiktion ist, weil Verantwortung von Menschen erdacht wurde. Aber der Fiktionsbegriff hat hier einen sehr faden Beigeschmack, steht er doch auch für eine bewusst gesetzte widerspruchsvolle oder falsche Annahme als methodisches Hilfsmittel bei der Lösung eines Problems. Weder steht aber Verantwortung im Widerspruch zu etwas, noch ist Verantwortung eine falsche Annahme. Vielmehr handelt es sich um ein gesellschaftsnotwendiges Ordnungsprinzip, das an tatsächliches Verhalten (und Denken) anknüpft.

6. Warum hat nur der Mensch Verantwortung?

Wenn Verantwortung also nur wertende Zuweisung ist, warum weisen wir dann nur Menschen, aber keinen Maschinen Verantwortung zu? Die Tatsache, dass Maschinen und andere Gegenstände keine Verantwortung haben und sie moralisch neutral sind, erklärt sich daraus, dass die Zuweisung von Moral und Verantwortung nur dann sinnvoll ist, wenn dadurch die Gesellschaft geordnet werden kann. Während also beim Menschen Moral und Verantwortung zu einer optimierten Gesellschaftsordnung führen, weist eine durch wertende Zuweisung nicht beeinflussbare Maschine keine Zustandsveränderung durch die Zuweisung auf und passt ihr „Verhalten“ nicht entsprechend an. Die Zuweisung würde damit leer laufen.

7. Freier Wille ist nicht notwendig für Verantwortung

Im Ergebnis zeigt sich, dass die verbreitete Ansicht falsch ist, dass freier Wille für Verantwortung notwendige Voraussetzung ist. Der Verantwortungsbegriff kann ohne Konsequenzen für seinen praktischen Gehalt auch ohne die Freiheit des Willens ausgefüllt werden. Ja, auch eine Marionette kann Verantwortung haben; und dies ist sogar durchaus erforderlich, wenn sie so komplex beschaffen ist, wie der Mensch.
Außerdem gilt es ganz unabhängig davon zu beachten, dass es bei der Determinismusfrage um die Frage nach der objektive Beschaffenheit der Natur geht. Liegt somit Determinismus vor, so operierte das bisherige Rechtssystem erfolgreich in einer deterministischen Welt und erfüllte seinen Zweck, was sich durch neue Einsichten in die Beschaffenheit der Natur nicht ändern muss.

8. Das Gefühl von Verantwortung

Und zuletzt bleibt noch festzustellen: „Illusion oder nicht, bewusster Wille ist die Richtschnur einer Person für ihre eigene moralische Verantwortung für eine Handlung. Wenn man denkt, man wollte eine Handlung, wurde die Urheberschaft für die Handlung im Geist anerkannt. Man wird sich schuldig fühlen, wenn die Handlung böse ist, und verdienstvoll, wenn die Handlung gut ist. Die Funktion bewussten Willens soll nicht absolut korrekt sein, aber soll ein Kompass sein. Sie sagt uns, wo wir sind und ruft hervor, dass wir entsprechend der Moralität der Handlung, die wir uns auszuführen fühlen, die geeigneten Emotionen empfinden.“ (Wegner, S. 341.) „Nur mit dem Gefühl bewussten Willens können wir beginnen, zu wissen, wer wir als Individuen sind, kritisch zu urteilen, was wir tun können und was nicht, und können uns für das, was wir getan haben, als moralisch gut oder böse beurteilen.“ (Wegner, S. 342.)