Die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter (Directors and Officers Liability Insurance; kurz: D&O-Versicherung) ist mittlerweile in Deutschland nicht nur bei Aktiengesellschaften weit verbreitet. Die Kosten der D&O-Versicherung trägt dabei fast ausnahmslos das Unternehmen. Dies liegt darin begründet, dass es im Interesse des Unternehmens ist, bei Großschäden, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vorstands überschreiten, mit dem Versicherer einen solventen Schuldner zu erhalten, der den Schaden (teilweise) ausgleicht. Darüber hinaus stellt der Versicherungsschutz einen Vorteil für das Unternehmen im Wettbewerb um Führungskräfte dar.
Die D&O-Versicherung war in der Vergangenheit überwiegend ohne einen persönlichen Selbstbehalt der versicherten Unternehmensleiter ausgestaltet. Nur vereinzelte Stimmen hielten einen Selbstbehalt nach altem Aktienrecht für zwingend. Die Auffassung wurde damit begründet, dass ohne Selbstbehalt die verhaltenssteuernde Wirkung der Haftung entfalle und ein eventueller Schaden auf die Gesellschaft zurückverlagert werde. Eigentlich enthielt schon der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) 2002 für börsennotierte Gesellschaften die Empfehlung, bei gesellschaftsfinanzierten D&O-Versicherungen einen angemessenen Selbstbehalt zu vereinbaren. Aber nur etwa die Hälfte der betroffenen Gesellschaften hat diese Empfehlung befolgt. Die vereinbarten Selbstbehalte waren zudem lediglich gering. Selten wurden die Selbstbehalte versichert.
Im Zeichen der im Frühjahr 2007 begonnenen internationalen Finanz- und Wirtschaftskriese, der sogenannten subprime crisis, und der bevorstehenden Bundestagswahl im September 2009 hat der Gesetzgeber nach einem zügigen Gesetzgebungsverfahren einen zwingenden persönlichen Selbstbehalt für die D&O-Versicherung ins Aktiengesetz aufgenommen. Der gesetzliche Selbstbehalt wird bei jeder Schadenleistung des D&O-Versicherers abgezogen, sodass es sich um eine Abzugs-Franchise handelt. Das sogenannte Selbstbehaltsgebot beschränkt sich dabei auf einen Satz, der § 93 Abs. 2 AktG ergänzt. Erklärter Wille des Gesetzgebers ist es, die Vorstandsmitglieder durch den zwingenden Selbstbehalt stärker am Schadensrisiko zu beteiligen. Dadurch will er eine „verhaltenssteuernde Wirkung“ erzielen.
Die Vorschrift wirft dabei zahlreiche Fragen auf, die Anwendungsbereich, Höhe des Selbstbehalts, Rechtsfolgen bei Nichtvereinbarung und grundsätzliche Versicherbarkeit des Selbstbehalts betreffen. Außerdem stellt sich die Frage, wie im Falle einer grundsätzlichen Versicherbarkeit des Selbstbehalts ein entsprechendes Versicherungsprodukt gestaltet werden könnte. Schließlich ist fraglich, ob die gesetzliche Regelung überhaupt geeignet ist, ihr Ziel zu erreichen. Die Beantwortung dieser Fragen war und ist seit 2009 ein Hauptthema in der D&O-versicherungsrechtlichen Literatur. Kaum etwas ist eindeutig und fast alles ist umstritten. Dies schafft Gestaltungsspielräume, aber auch Rechtsunsicherheit. Ganz herrschende Meinung ist aber, dass die D&O-Selbstbehalt-Versicherung grundsätzlich zulässig ist. Ziel dieser Arbeit ist die umfassende rechtliche Untersuchung der D&O-Selbstbehalt-Versicherung durch die Beantwortung der soeben aufgeworfenen Fragen. Die betroffenen Unternehmen, Unternehmensleiter, Versicherer und Versicherungsmakler sollen dadurch bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelung unterstützt werden.
Inhalt
Teil 1. Einleitung (S. 1)
A. Hintergrund
B. Methode und Gang der Erörterung
Teil 2. Obligatorischer Selbstbehalt und Versicherbarkeit (S. 3)
A. Inhalt der gesetzlichen Regelung
I. § 93 Abs. 2 S. 3 AktG
II. Ziel des Pflichtselbstbehalts: verhaltenssteuernde Wirkung
B. Verfassungsmäßigkeit des § 92 Abs. 2 S. 3 AktG
C. Anwendungsbereich
I. Personen- und gesellschaftsbezogener Anwendungsbereich
1. Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften
2. Andere Personen innerhalb der Aktiengesellschaft
a) Aufsichtsräte
aa) Ausdrücklich vom Selbstbehaltsgebot ausgenommen
bb) Empfehlungen des DCGK und PCGK
b) Sonstige Personen und Zwischenergebnis
3. Andere Körperschaften
a) Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)
aa) Voraussetzungen für eine analoge Anwendung
bb) Planwidrige Regelungslücke
(1) Wille des Gesetzgebers nach Gesetzesbegründung
(2) Wille des Gesetzgebers aufgrund der Änderung des GmbHG
cc) Grund für die Ungleichbehandlung
b) Genossenschaft
c) Europäische Aktiengesellschaft (SE)
aa) Dualistische Societas Europaea
bb) Monistische Societas Europaea
cc) Bedenken
dd) Zwischenergebnis
d) Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG)
e) Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)
f) Von anderer Gesellschaft mitversicherte Vorstände
g) Gesellschaften mit Staatsbeteiligung
4. Zwischenergebnis
II. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Betroffene Versicherungen
a) Gesellschaftsfinanzierte Versicherungen gegen Risiken aus der beruflichen Tätigkeit des Vorstands
b) Eigenschadenversicherungen der Gesellschaft mit Regressverzicht
2. Innen- und Außenhaftung
a) Wortlaut
b) Systematische Stellung
c) Gesetzesbegründung
d) Sinn und Zweck
e) Entscheidung und Zwischenergebnis
3. Abwehr- und Rechtsverteidigungskosten
a) Sinn und Zweck
b) Anrechnung der Abwehrkosten auf Versicherungssumme
c) Wortlaut
d) Zwischenergebnis
e) Erstreckung des Selbstbehalts durch Parteivereinbarung
4. Vergleiche
a) Vergleich als Regelfall im D&O-Bereich
b) Vergleich, wenn Pflichtverletzung offen ist
c) Vergleich, wenn Pflichtverletzung anerkannt wird
d) Zwischenergebnis
III. Zeitlicher Anwendungsbereich und Übergangsregeln
1. Grundsätzlich alle Versicherungsfälle
2. Ausnahme: vor August 2009 geschlossene Anstellungsverträge mit selbstbehaltsloser Versicherungsgewährung
3. Ausnahme: Pflichtverletzungen vor August 2009
D. Höhe des Mindestselbstbehalts
I. Allgemeines
II. Entscheidung über die Höhe des Selbstbehalts
III. Bezugsjahr
IV. Mehrere Pflichtverletzungen
1. Pflichtverletzungen aus einem Jahr
2. Pflichtverletzungen aus verschiedenen Jahren
3. Serienschäden
V. Gesamtschuldnerische Haftung
VI. Vergütung und Vergütungsänderungen
1. Keine Prognose zukünftiger Vorteile
2. Variable Vergütungsbestandteile in der Vergangenheit
3. Veränderungen in der Gruppe der versicherten Personen
4. Abstrakte Policen zulässig
5. Geldwerte Vorteile als Festvergütung
6. Gesamtvergütungen auch für andere Tätigkeiten im Konzern
E. Rechtsfolgen bei Nichtvereinbarung eines Selbstbehalts
I. Selbstbehaltsgebot als Regelung des Innenverhältnis
II. Selbstbehaltsgebot als Einschränkung der Gestaltungsmacht
III. Selbstbehaltsgebot als Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB
F. Versicherbarkeit des Selbstbehalts
I. D&O-Selbstbehalt-Versicherung widerspricht Sinn und Zweck
II. Keine Unwirksamkeit gemäß § 93 Abs. 2 S. 3 AktG direkt
III. Keine Unwirksamkeit gemäß § 93 Abs. 2 S. 3 AktG analog
IV. Nichtigkeit gemäß § 134 BGB wegen Umgehungsgeschäft
1. D&O-Selbstbehalt-Versicherung als Umgehungsgeschäft
2. Grundsätzliche Wirksamkeit der D&O-Selbstbehalt-Versicherung
3. Mittelbare Stellvertretung führt zu Nichtigkeit
4. Erhöhte Festvergütung für erhöhtes Risiko zulässig
5. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Verbot der D&O-Selbstbehalt-Versicherung
a) Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz
b) Berufsausübungs- bzw. Vertragsfreiheit
V. Zwischenergebnis
G. Versicherbarkeit des Ausfallrisikos
Teil 3. Versicherungskonzepte (S. 54)
A. Information und Transparenz
B. Komponenten
I. Individual- und Kollektiv-Schutz
1. Kollektiv-Schutz (Pooling)
2. Bewertung des Kollektiv-Schutzes
a) Kostenvorteile durch Homogenisierung
b) Transparenz der Bezüge höher
c) Beteiligung der Gesellschaft problematisch
II. Versicherer des Selbstbehalts
III. Umfang des Versicherungsschutzes
1. Grundsätzliches
2. Weitergehende Deckung und zusätzliche Leistungen
3. Haftpflichtmodell
4. Abstimmungsproblem durch Tresorpolicen
5. Gleichlauf der Deckung
a) Akzessorietät
b) Unangemessene Benachteiligung
IV. Folgepflicht ohne eigene Prüfung
V. Anrechnung oder Zusatzkapazitäten
VI. Vorleistung des Versicherers (Regressmodell)
VII. Prämienhöhe
VIII. Versicherungssumme
1. Kumulierungseffekte
2. Unangemessene Benachteiligung
3. Höhe der Versicherungssumme
4. Veränderungen in der Gruppe der versicherten Personen
5. Keine neuen Probleme
C. Individuelle D&O-Versicherungen
D. Zusammenfassender Modellvorschlag
Teil 4. Kritische Würdigung des § 93 Abs. 2 S. 3 AktG (S. 72)
A. Verhaltenssteuernde Wirkung des Selbstbehalts
I. Zusammenhang von Sorgfalt und Haftung
II. D&O-Versicherung mit erheblichen Unsicherheiten behaftet
III. Wirkungslosigkeit des versicherten Selbstbehalts
IV. Nachteile des Selbstbehaltsgebots
V. Regelung mit politischem Symbolcharakter
B. Alternativen zum zwingenden Selbstbehalt